Anno 1797 – der französische Abbé Biarelle macht einen Spaziergang durch einen Garten und er ist ‚verzückt‘, wie der von ihm verfasst Bericht unschwer erkennen lässt:

„(...) allein der Garten und das Haus liegen in einem engen Thale, welches sich aber gegen West-Nord-West auf das feierlichste öffnet (...).  Die Anger, die (...) gerade zu auf die Fabrique stösst, hinter dem Wohnhaus in zween Kanälen fortrückt und den kleinen so genannten englischen Garten (...) benetzt, hat einen der wichtigsten Vortheile zu nützlichen –
und lustigen Anlagen, die aber bis dahin – wie billig – für die Fabrique ausgearbeitete sind, und für das angenehme noch ein weites Feld vor sich haben. Wenn der Fabriquebau nicht völlig zu Stande kommt, so hat Hr. Breugelmann zur weiteren Anlage eines wahren englischen Garten oder Parks den reichsten Stoff.“


Die Bemerkungen von Biarelle zeigen, welche Aufmerksamkeit Cromford bei Ratingen noch nach mehr als einem Jahrzehnt nach der Gründung im Jahre 1783 bei Zeitgenossen erreichte; sie verraten, dass Brügelmann erneut an einen Ausbau der bestehenden Fabrikanlagen dachte und dass das Herrenhaus von Zeitgenossen als Wohnhaus und nicht als Schloss wahrgenommen wurde.

Heute ist klar – Brügelmann baute seine 1783 privilegierte Fabrik weiter aus. Das kurz nach dem Besuch des Abbé errichtete Gebäude, die ‚Hohe Fabrik’, beherbergt heute das LVR-Industriemuseum, Schauplatz Ratingen, Textilfabrik Cromford.


Wo sollte die Fabrik stehen?

Zum 1. Mai 1783 überließ der Graf von Spee dem Kaufmann Johann Gottfried Brügelmann aus Elberfeld im Wuppertal die Hauser Mühle in der Nähe seines Rittergutes ‚Haus zum Haus’ bei Ratingen. Brügelmann hatte diesen Ort zum Aufbau der ersten Fabrik auf dem Kontinent mit Bedacht gewählt. Zur Mühle gehörten Wasserrechte an der Anger, die für den Antrieb der neuen und einmaligen Maschinen von großer Bedeutung sein würden, denn Wasser war vor 1800 der günstigste und zuverlässigste Energieträger – im 18. Jahrhundert unerreicht von Pferde- oder Dampfkraft. Das Gelände mit seinen Gebäuden lag unweit wichtiger Handelsrouten, wie z.B. der Landstraße nach Mühlheim an der Ruhr, unweit auch des Rheins mit den Häfen in Düsseldorf und Duisburg sowie in der Nähe der Stadt Düsseldorf mit der kurfürstlichen Administration. Das kaum zehn Gehminuten von der Gemarkung entfernte und damals verarmte Ackerbürgerstädtchen Ratingen bot ein hinreichend großes Arbeitskräftepotenzial. Zudem befand sich das vom Abbé beschriebene Gelände weit genug ab von jeder Siedlung, sodass man sich vor neugierigen Blicken auf die durch das Privileg des Kurfürsten zwar geschützten und doch vor Nachahmung nicht sicheren Geheimnisse der Maschinen gefeit wähnen konnte – ganz anders jedenfalls als dies im engen und dicht bevölkerten Wuppertal mit seinen vielen mit Brügelmann konkurrierenden Unternehmer-Kaufleuten der Fall gewesen wäre. Darüber hinaus – und dies dürfte Brügelmann sofort erkannt haben – gab es ‚Entwicklungsmöglichkeiten’ für einen zukünftigen Ausbau der 1782 zunächst geplanten Anlage. Der Gründung einer „Colonie“ oder besser gesagt dem Aufbau der ‚ersten Fabrik des Kontinents’ auf der grünen Wiese stand nichts im Wege.

Doch wie sollte er seine Fabrik, die erste auf dem Kontinent, bauen? Was waren seine Vorbilder, mit denen er das Kunststück zuwege brachte, aus der „öden Gegend“ einen „Lustgarten“ zu schaffen?


Vorbilder für Cromford

Erfolgreiche Projekte von Großbetrieben, die auf dem platten Land und nicht in Städten angelegt worden waren und die als Beispiel dienen können, gibt es reichlich. So gründete beispielsweise Graf Jan Josef von Waldstein in Oberleutensdorf/Böhmen bereits im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts ‚aus dem Nichts‘ eine Manufaktur für feines Wolltuch. Ebenfalls ‚auf der grünen Wiese‘ errichtete Johann Arnold von Clermont, nachdem er ein Rittergut übernommen hatte, nach Plänen des Architekten Joseph Moretti vor den Toren des Dorfes Vaals bei Aachen 1764 eine Tuchmanufaktur. Hier wurden die Wollbereitung, die Färberei und die Appretur zentralisiert.

Doch Wolle und Baumwolle sind zwei völlig andersartige Fasern, deren mechanische Verarbeitung mit Maschinen zeitlich weit auseinander fällt. Wolle konnte in besseren Qualitäten erst nach 1800 mit einer Weiterentwicklung der ‚Mule‘ von Samuel Crompton versponnen werden, während Baumwolle bereits seit den späten 1760er Jahren weitgehend maschinell zu verarbeiten war.

Nun, Brügelmann investierte in eine Fabrik für Baumwollspinnerei – und dies aus guten Gründen. Der Markt verlangte nach günstigem, gleichmäßigem, festem Kett- und etwas weicherem Schussgarn. Und mit den englischen Maschinen stand eine Technik zur Verfügung, die den ‚Garnhunger‘ der Weber stillen konnte. Der Einsatz von englischen Maschinen und insbesondere der Name „Cromford“ haben in der Forschung oft dazu geführt, die Vorbilder für die nahe Ratingen errichtete Anlage des Kaufmanns und Industriepioniers aus Elberfeld ausschließlich in England zu suchen.

Eupener und Vervierser Unternehmer hatten schon seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert nicht unerhebliche Mittel in zentrale Produktionseinrichtungen investiert, die sogenannten Winkel für Rauer und Scherer, in denen diese unter der direkten Aufsicht der Fabrikanten arbeiteten. Die Tuchmacherdynastie Peltzer beispielsweise errichtete bereits 1675 einen acht Achsen langen und mehrere Achsen tiefen zentralen Werkbau am Ufer der Weser in Verviers. In Eupen war es Martin Rehrmann, der 1724 den Aachener Stadtbaumeister Laurenz Mefferdatis mit einem besonders großen Werkbaukomplex beauftragte. Die ebenfalls in Eupen ansässige Familie Grand Ry folgte 1757 diesem Beispiel. In Burtscheid bei Aachen war es das Unternehmen Isaac von Loevenich, das im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine Werkbauten zu einem großen funktionalen Komplex ausbaute. Eben diesem Prinzip, d.h. einen gewaltigen Neubau für Hunderte von Arbeitern zu errichten, folgten die Söhne Johann Heinrich Scheiblers und setzten in Monschau die Zentralisierung von wichtigen Produktionsbereichen in ihren eigenen Unternehmen fort.
Es entstanden schlichte, funktionale, schmale und langgestreckte Gebäude mit geringen Geschosshöhen für den Manufakturbetrieb, deren Typ eine Teil die Fabrikarchitektur des frühen 19. Jahrhunderts vorwegnahm.
Brügelmann konnte demnach nicht nur auf Beispiele der Organisation eines zentralisierten Betriebes, sondern auch auf eine modellhafte Werkbauarchitektur zurückgreifen, wenn er in die Region Aachen-Verviers blickte.

Doch sind dies die einzigen Vorbilder? Wohl kaum! Der Blick nach England war zwar nicht nötig, aber dass Brügelmann oder sein Architekt von dortigen Bauten wusste, darf vorausgesetzt werden. Das Kopieren eines konkreten Gebäudes stand aber sicher nicht zur Debatte.


Der Architekt der ersten Fabrik

Immerhin, einer der Architekten, die für Brügelmann arbeiteten, ist bekannt – der im Range eines 2. Hofbaumeister tätige ehemalige Mühleninspektor Rutger Flügel. Ihn nennt Brügelmann in seinem Privilegantrag vom 24. November 1783 selbst: „Von welchem zu mehreren Beweis dem Plan dieser Gebäude nebst dem inneren Wert, welches 1600 Spindeln auf einmal in Bewegung setzt, und welches von Höchstdero Hofbaumeister Flügel verfertigt worden, unterthänigst anfüge.“ Flügel dürfte sich für Brügelmann als Glücksfall erwiesen haben. Als Mühleninspektor war er mit der Einrichtung von Transmissionsanlagen und als Hofbaumeister mit der Anlage von Kasernen, Ställen und anderen Gebäuden mit Sälen beziehungsweise großen Zimmern vertraut – immerhin überwachte er ab 1783 den Bau der Düsseldorfer Extensionskaserne. Sein Wissen, das in dieser Kombination eher selten war, prädestinierte ihn für das Bauvorhaben in Ratingen. Zudem dürfte er Kenntnisse im Feldbrand von Ziegeln gehabt haben, die häufig bei Schanzarbeiten und im Festungsbau des Barock zum Einsatz kamen. Eben diese Ziegel finden sich im Mauerwerk der Fabrik, die Brügelmann als erstes Gebäude errichten ließ.

Dieses erste Fabrikgebäude ist der heute noch an der Cromforder Allee liegende lang gezogene Bau in sieben Achsen mit Krüppelwalmdach, der ursprünglich 4 Stockwerke hatte: die ‚Alte Fabrik’. Zum Herrenhaus hin orientiert, schließt dieses Gebäude damals wie heute mit einem kurzen abgeschleppten Dachstück. Es überspannt die Arbeitertreppe in die oberen Fabrikgeschosse. Das untere Geschoss hatte nur Fenster zur Gartenseite, zur Anger hin – an der Wasserseite – war es geschlossen. Massive Pfeiler an den Außenwänden, aber auch im Inneren trugen zur Stabilität das Baus bei, der die Vibrationen eines über drei Geschosse geführten Räderwerks, das bereits 1787 Salomé von Gélieu nach einem Besuch in Cromford in ihrem Bericht hervorhob, aushalten musste.

Die „alte Fabrik“ kann heute nicht mehr besichtigt werden – wohl aber das nach 1797 erbaute Gebäude, das „Hohe Fabrik“ genannt wird. Und hier sind die englischen Einflüsse groß! Nicht mehr in die Länge, sondern in die Höhe wurde gebaut, was einige Vorteile hatte: So konnte im Erdgeschoss das Wasserrad untergebracht werden – geschützt vor Frost und als immerwährender Spender von Luftfeuchtigkeit. Dieser neue Typ wurde mit dem Bau von Brügelmann populär – doch erhalten haben sich nur wenige Beispiele aus der Frühzeit der Industrialisierung.


Die Ausstellung

Im Mittelpunkt der Ausstellung in der  sogenannte „Hohe Fabrik“ mit ihrer Ausstellung zur Einführung des Fabriksystems in Deutschland. Die originalen aus dem 18. Jahrhundert nachgebauten Maschinen werden seither, angetrieben von einem mächtigen Wasserrad, im Schaubetrieb vorgeführt und jeder Besucher kann erleben, wie vor über 200 Jahren Baumwollgarn hergestellt wurde. Neben der Technik präsentiert die Ausstellung insbesondere die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Männer, Frauen und vor allem auch der Kinder. Unter welchen Bedingungen haben sie gearbeitet, welche Gefahren brachte die Arbeit an den Maschinen mit sich, wie sah ein ganz normaler Arbeitstag um 1800 aus? Neben diesen sozialhistorischen Fragen geht es auch um Wirtschaftsgeschichte. So können sich die Besucher über die Herkunft der Baumwolle, ihre schon damals längst globalisierten Absatzmärkte oder die Geschichte der Baumwollkleidung und -mode informieren.

Seit der Eröffnung des Museums trifft die Ausstellung auf große Akzeptanz der Besucher. Dabei faszinieren insbesondere die laufenden Maschinen, die leicht zu verstehen sind – sie bilden heute den eindeutigen Mittelpunkt des Hauses. Neben dem Interesse von Einzelbesuchern und Familien erweist sich das Haus auch für Schulkassen als äußerst attraktiv, da sie hier am deutschen Beispiel die Geschichte der Frühindustrialisierung sehr anschaulich und verständlich erleben können. Besonders bewährt hat sich das personale Vermittlungskonzept: Vorführer erläutern die laufenden Maschinen, museumspädagogische Mitarbeiter versetzen die Besucher in ihren interaktiven Führungen in die Arbeitswelt der Zeit um 1800. Zu besonderen Anlässen auch immer wieder mit Elementen des „Living History“.